Manchmal, nach besonders heftigen Geschwisterstreits, langen schlaflosen Abenden oder Krankheitsphasen, nach dem hundertsten MamaMamaPapaMama oder an Tagen, an denen wir besonders ausgeklügelt planen müssen, um alle Termine unter einen Hut zu kriegen, gucken André und ich uns an, grinsen uns mit müden Augen schief an und sagen:

„Warum hat uns das eigentlich niemand vorher gesagt?“ 

Und dann lachen wir meistens ein bisschen und geben uns die Antwort, die wir uns jedes Mal geben:

„Haben sie ja. Wir dachten nur, dass wir es besser machen würden.“ 

Ein Running Gag bei uns – aber es steckt eine Menge Wahrheit darin.

Heute frage ich mich eher – gibt es etwas, das noch niemand erzählt hat?

In den letzten Tagen habe ich mich gefragt, ob man heutzutage als werdende Eltern wirklich noch daran vorbeikommt, alles über Schwangerschaft, Geburt, Eltern sein, Mutterschaft zu erfahren, geschweige denn, sagen zu müssen: warum hat mir niemand von xy erzählt. Vorausgesetzt, man beschäftigt sich ein bisschen damit. Anlass war ein Post von @vrenifrost, die im Zuge ihrer Buch-Recherche ihre Community gefragt hat, was sie gern gewusst hätten, bevor sie Eltern wurden

Eine Antwort auf diese Frage, die als Statement auf Instagram gepostet wurde, war: „Niemand hat mir gesagt, dass Wehen sich anfühlen, als würdest du gleich eine Anakonda kacken.“.

Diese „niemand hat mir gesagt dass“ Posts gibt es seit ein paar Jahren immer wieder. Sie sind ein Garant für viele Kommentare und Klicks, sie sind ein bisschen lustig, aber auch immer ein bisschen vorwurfsvoll. 

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Fragen stellen sich mir dazu.

Erste Frage

Erstens: kommt man heute, und damit meine ich die letzten fünf bis sechs Jahre wirklich noch darum herum, sowas zu erfahren? Wenn man liest und sich informiert? 

Dass es während oder nach einer Schwangerschaft zu Hämorrhoiden kommen kann. Dass es passieren kann, dass unter der Geburt durch den Druck nicht nur das Kind, sondern auch Kacke rausflutscht. Dass der erste Toilettengang nach einer Geburt mit geschwollener Vulva und Geburtsverletzungen erstmal Angst machen, brennen und schmerzhaft sein kann. Dass die Nachwehen von Kind zu Kind schmerzhafter werden und der Milcheinschuss sich anfühlen kann, als ob die Brüste bersten. 

Und noch so viel mehr natürlich. Das steht doch überall. Zumindest fühlt es sich für mich jetzt so an. Und ich habe auch das Gefühl, das alles schon vor der Geburt mal gelesen zu haben, als ich vor 10,5 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden bin.

Zweite Frage

Zweitens: ist man, wenn man sich nicht oder nicht ausreichend informiert, in der Position, sowas mit einem vorwurfsvollen Unterton zu sagen? Und sind andere Menschen dafür verantwortlich, uns auf jegliches mögliche Szenario, das kommen könnte, vorzubereiten? 

Danke, kein Bedarf an gut gemeinten Tipps

Vor allem mit dem Hintergrund, dass viele von uns die sogenannten “guten Ratschläge” wie “Geht nochmal ins Kino” oder “Schlaft schon mal vor” oder “Knallt euch den Gefrierschrank mit Mahlzeiten voll” schon nicht hören wollen, weil siehe oben, unser Running Gag? Aber die Info, dass es passieren kann, dass Gebärende unter der Geburt kacken – das wird dann plötzlich eingefordert?

Elternschaft, Mutterschaft und alles drumrum ist ein Eiertanz geworden. Genau, wie du als Mutter nur alles falsch machen kannst, kann die Gesellschaft es gefühlt nur noch falsch machen. Sagt man irgendwas, ist es falsch. Sagt man zu wenig, ist es auch falsch. Zu positiv: falsch. Zu negativ: auch falsch.

Mir persönlich geht es mittlerweile auch so. Auf Instagram, aber auch privat. Wie sehr, ist mir bei einer Freundin, die vor fast einem Jahr Mutter geworden ist, aufgefallen. Ich habe, aus Sorge davor, etwas Falsches, Verunsicherndes oder zu Verharmlosendes zu sagen lieber fast nichts zur Schwangerschaft und Geburt gesagt.

Diese Entwicklung finde ich irgendwie schade. So sehr und uneingeschränkt ich es auch als Gewinn betrachte, dass Kinder mittlerweile nicht mehr (nur) auf Gehorchen und Funktionieren gedrillt werden, Mütter auf ihr Bauchgefühl hören und nicht nur auf das, was “immer schon so war” und “mir auch nicht geschadet hat”, so sehr vermisse ich manchmal Eigenverantwortung. Realistische Einschätzungen bzw das Einordnen können von Geschichten und Erfahrungen anderer.

Dritte Frage

Drittens: Ändert es für mein persönliches Empfinden von Emotionen, Schmerz etc unter der Geburt oder während des Wochenbetts wirklich etwas, wenn ich vorher erzählt bekomme, wie andere es wahrgenommen haben? Erleben von Geburt und Mutterschaft (und überhaupt allem) ist höchst individuell. Nur weil ich etwas so gefühlt habe, kann es sich für dich komplett anders anfühlen. Etwas, das dir leicht fällt, kann für mich fast unmöglich sein. In welchem Rahmen macht dieser Austausch also Sinn und ab wann kippt es in Richtung Beschönigen oder ins Gegenteil, ins (unnötig) Angst machen? Ich finde es super, dass es mittlerweile viele Geburtsberichte online gibt und eigentlich zu jedem Thema entweder Infos von ExpertInnen oder eben Erfahrungsberichte. Aber auch hier Stichwort Eigenverantwortung. Was kann ich aushalten, was ist mir zu viel? Woraus kann ich für meine Vorbereitungen etwas mitnehmen und was macht mir mehr Angst? Am Ende sind wir immer noch selbst dafür verantwortlich, was wir fühlen und aus den jeweiligen Situationen machen.

Was macht wirklich Sinn in der Vorbereitung?

Ich glaube, es ist möglich, wichtig und richtig, medizinisches Wissen und Fakten zu vermitteln. In welchen Phasen eine Geburt verläuft zum Beispiel. Dass es zu Ausscheidungen kommen und auch, wie man damit umgehen kann. Dass es Nachwehen gibt, die ziemlich heftig sein können. Dass es Schmerzmittel gibt und man keine schlechte Mutter ist, wenn man sie auch nimmt. Und allgemeine Hilfsmittel, um vieles etwas angenehmer zu machen. Dass es zu Hämorrhoiden kommen kann. Dass der Bauch nach einer Geburt oft noch aussieht wie im 6. Monat. Manchmal aber auch nicht. Stillpositionen, richtiges Anlegen um Schmerzen zu vermeiden. All das.

Aber wie sich all das anfühlt – das kann man vorher nicht wissen. Egal, wie viel man liest oder erzählt bekommt. Auch nicht, wie man selbst mit Schlafmangel zurecht kommt. Oder mit der Verantwortung. Dem großen Glück und der großen Angst. Dieser überwältigenden Gleichzeitigkeit der Dinge, von diesem zu viel, von jenem zu wenig. Der Langeweile. Der Überforderung.

Man kann sich vorbereiten, vieles durchsprechen, planen und das ist gut und schlau und richtig und wichtig. In Bezug auf Schwangerschaft, Elternschaft, Partnerschaft. Aber erleben muss man es selbst. Manchmal ist trotz bester Vorbereitung alles ganz anders, wenn man drinsteckt.

Vielleicht ist dieser “Trend” auch einfach nur ein Versuch, Elternschaft ein bisschen Humor einzuhauchen und alles nicht so ernst zu nehmen, wenn es dann vielleicht schon viel härter ist als erwartet?

Ich weiß es nicht. Was meint ihr?

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4 Comments

  1. Das habe ich gern gelesen, danke.

    Klar ich habe diesen Satz auch schon x-fach gelesen und auch selbst gesagt.
    Bei meinem ersten Kind, vor zwölf Jahren, war Social Media noch längst nicht so präsent, ich hatte kein Smartphone und dadurch weit weniger Kontakt zu irgendwelchen Menschen außerhalb meines persönlichen Umfelds. Da ich im Freundeskreis bis dato nur wenige Kinder hatte und im direkten Umfeld zu diesem Zeitpunkt keins, gibt es wirklich Vieles, dass mir Niemand vorher gesagt hat/das ich nicht gelesen habe.

    Aber: es hätte erst einmal nichts verändert. Ich hätte mich von nichts abbringen lassen und hätte vermutlich, wie du, gedacht, dass das bei mir alles anders sein wird.

    Warum ich aber all diese Informationen doch wichtig und gerade in ihrer Vielfalt so relevant finde: für danach! Scheiß auf Vorher. Aber dann, als ich in diversen Schlamasseln drin steckte, hätte ich gern gewusst, dass ich damit nicht alleine bin.

    Mein erstes Kind hat z.B. sehr viel schlechter geschlafen als alle Kinder im Rückbildungskurs, oder als die Kinder der Mütter die ich dann so kennenlernte.
    Es war mit nichts und niemandem vergelichbar. Irgendwann habe ich zaghaft Facebook bespielt und hab da mal rumgefragt und auch da gab es keine Erfahrungen die meinen ähnelten. Das war tatsächlich sehr schwer für mich. Schließlich habe ich beim ersten Kind in meinem vom Schlafdefizit umnebelten Hirn ernsthaft geglaubt, dass das NIEMALS besser wird. Und es gab eben Niemanden, der/die mir das Gegenteil berichten konnte.

  2. Ich habe noch kein Kind und meine Uhr tickt immer lauter. Eigentlich war mir immer klar, dass ich mal Mutter werde und jetzt schiebe ich es immer weiter auf, weil ich unglaublich Angst davor habe. Mache Insta auf und lese traumatische Geburtsberichte, Berichte über dauerkranke Kinder, Mental Load, Stress und die Angst wird größer. Will ich das? Kann ich das? Manchmal würde ich mir wünschen, es gibt viel weniger Infos zu lesen. Und ich gebe dir absolut recht. Alles was du schreibst, kann ich nachlesen. Hab ich schon mal gelesen, hab schon mal drüber nachgedacht. Schon mit 15 hab ich mit meiner Mama darüber gesprochen, wie peinlich es wäre während der Geburt zu ka**en. Was ich aber einfach nicht weiß: Wie fühlt es sich für mich an? Bin ich bereit dieses “Risiko” einzugehen und ins Ungewisse zu springen? Lohnt es sich? Und werde ich vielleicht doch belohnt? Ein bisschen Zeit hab ich noch… Danke für deine Gedanken.
    Petra

  3. Ich habe mir angewöhnt meine Freundinnen zu fragen, ob sie einen Ratschlag benötigen. Nicht nur zum Thema Schwangerschaft/Geburt sondern auch bei allen anderen Themen wie Schlafprobleme/Verteilung der Care-Arbeit/etc. Manchmal möchte man sich eben auch einfach nur auskotzen, bzw. nicht „negativ“ beeinflusst werden und das akzeptiere ich dann eben auch.

    • Johanna Reply

      Das finde ich eine ziemlich gute Lösung, danke dir!

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