Es ist voll im Bus, wie eigentlich immer. “Setz dich irgendwo hin oder halt dich fest” rufe ich der Fünfjährigen zu, sie steht noch im Gang, als der Bus ruckt um anzufahren und kriegt gerade so die Haltestange zu fassen. Nicht hingefallen, ich atme auf, erste Hürde geschafft. Die Kinder haben den Klappsitz im Mittelraum ergattert, ich stehe, direkt daneben, im Gelenkteil des Busses. Der bewegliche Teil unter meinen Füßen dreht sich, bei jeder Kurve drücke ich mich tief in die Zieharmonikawand hinter mir, um nicht umzufallen. In einer Hand die schwere Papiertüte mit den Schulsachen für die fünfte Klasse, über der anderen Schulter baumelt meine Tasche.

Ich scanne die Umgebung, die Menschen, die sonst noch im Bus sitzen. Alles dabei, jung, alt, allein, in Gruppen. Viele mit AirPods in den Ohren, was ich erstens sehr gut verstehen kann – ich fahre auch nur noch mit Noise Cancelling Kopfhörern Bus und Bahn und werde nervös, wenn sie mal nicht geladen sind oder, noch schlimmer, ich sie vergessen kann. Zweitens erleichtert es mich, weil dadurch nicht alle so genau hören, wie die Kinder sich streiten.

Über ein für mich völlig banales und unwichtiges Thema, ich bitte sie in ruhigem Ton, sich im Bus nicht zu streiten und das Thema auf später zu verschieben. Nützt natürlich nichts. Es wird gekeift, argumentiert, geschrien, gerangelt. Ich spüre, wie ich nervös werde, gestresst. Der Busfahrer bremst abrupt, ich kann mich gerade noch festhalten, knalle mit der Schulter gegen eine Eisenstange, die Tüte mit den Schulsachen schlägt hart gegen mein Bein.

Streit, potentielle Gefahr, viele Geräusche, andere Menschen. Im Bus kommt alles zusammen.

Ich atme. Der Streit geht weiter. Es ist heiß im Bus. Mittlerweile telefonieren zwei Menschen in unmittelbarer Nähe in unterschiedlichen Sprachen, die Kinder streiten weiter, ich versuche, mich zu konzentrieren. Bitte nochmal darum, nicht so ausufernd zu streiten. “Warum ist das eigentlich so?” frage ich mich, öffentliche Verkehrsmittel scheinen bei uns Streit anzuziehen. Wenn es nicht um den Sitzplatz geht (“Ich will aber am Fenster sitzen” – “Nein ich” – “Und ich will aber nicht neben XY sitzen”), findet sich irgendein anderes Thema. Zuverlässig.

Und sofort prallen sie aufeinander: mein tief verwurzeltes Bedürfnis, es allen recht zu machen, also auch im Bus niemanden zu störe., Und das Wissen, dass es dank Wackelzahn- und Vorpubertät, Umbau im Gehirn und der Tatsache, dass Streit für Kinder eben dazu dient, zu lernen, vermutlich unmöglich sein wird, in dieser Situation schnell Frieden zu kriegen, aufeinander. Gewürzt wird die Situation noch mit einem genervten Augenrollen von links und einem leichten Kopfschütteln mit tiefem Seufzen von rechts.

Ich sehe die Gedanken der anderen durch den Bus schwirren:

“Meine Güte, die hat die Kinder aber nicht im Griff.”, “Was für unerzogene Kinder!”, “Die Kinder von heute dürfen aber auch alles!”, “Puh, wenn Kinder haben so aussieht, dann will ich aber keine haben…”, “Hoffentlich steigen die gleich aus!”.

Mir wird heiß, ich checke die Haltestellenanzeige, drei Haltestellen noch. Ich beuge mich zu den Kindern, jetzt steht die Kleinste auch noch auf, ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, bin mir aber sicher, dass mein Stress mir anzuhören ist: “Setz dich wieder hin, wir haben das besprochen, wenn ein Sitzplatz frei ist, setzt ihr euch hin”. Sie turnt ein bisschen rum und bleibt natürlich stehen. “Setz dich jetzt wieder hin!” Wir diskutieren kurz hin und her, ich erkläre knapp, dass der Busfahrer eben schon so scharf gebremst hat, dass ich fast hingefallen wäre und ich nicht möchte, dass ihr etwas passiert.

Festhalten, atmen, ruhig bleiben. Kinder im Auge behalten, Haltestelle nicht verpassen. Andere ausblenden.

Jedes Mal das Gleiche. Sie will sich jetzt wieder setzen, der Klappsitz ist natürlich nach oben geklappt, sie kriegt ihn allein nicht runter und natürlich hilft kein Geschwisterkind. Warum auch. Ich komme nicht um die Ecke, um den Sitz runterzudrücken, halte mich mit einer Hand fest, in der anderen die schwere Tüte und versuche, mich an den Gedanken zu klammern, dass sie nur so streiten, weil sie sich so sicher fühlen in unserem Familienkonstrukt. Dass sie bei anderen Menschen äußert aufmerksam und nett sind. Und dass es allen anderen vermutlich kaum aufgefallen ist, weil jeder so abgespaced im Handy hängt, dass die Umgebung sowieso ausgeblendet wird.

Unsere Bushaltestelle rettet mich, endlich. Als wir draußen sind, wird es nicht gleich besser. Ich brauche noch eine ganze Weile, bis ich diese enorme Anspannung abgeschüttelt habe, brauche einen Moment Ruhe und Stille und nur für mich.

Ich kenne meine Stressoren – meine sind nicht deine und das ist okay

Bus fahren stresst mich. Auch alleine. Menschen, die unangenehm riechen oder sehr stark nach Parfüm, fremde Menschen, die mich berühren, die ganzen lauten Telefonate, viele verschiedene Sprachen, jemand summt neben mir oder macht komische Klack-Geräusche, hört eine Sprachnachricht ohne Kopfhörer, das neueste TikTok Video gleich noch hinterher. Ich weiß das mittlerweile und kann diesen Stress gut kompensieren, wenn ich allein mit Noise Cancelling Kopfhörern unterwegs bin. Oder auch zu zweit mit einer anderen erwachsenen Person. Aber allein mit den Kindern – das war schon zu Babyzeiten, mit Kinderwagen oder ohne, nur mit Baby in der Trage, mit Kleinkind dazu und dann mit dreien, mein absoluter Endgegner.

Früher bin ich tatsächlich richtig gern Bus gefahren, ich hatte eine Idee für ein Buch im Bus und fand es, außer nach dem Nachtdienst, immer spannend, andere Menschen zu beobachten oder für einen kurzen Moment ihren Gesprächen zuzuhören. Andererseits hat mich auch schon immer gestresst, wie viel Rücksichtslosigkeit sich in Bussen und Bahnen zentriert. Wie sehr man Situationen ausgeliefert ist, aus denen man nicht rauskommt. Es ist, wie es ist, ich ärgere mich zwar jedes Mal darüber, dass mich eine Alltagssituation so sehr stressen kann – aber wer weiß. Vielleicht ändert es sich ja auch nochmal. Und bis es soweit ist, versuche ich, Bus fahren zu vermeiden, wenn es geht oder es mir mit Kopfhörern erträglich zu machen.

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5 Comments

  1. Liebe Johanna,
    du hast recht, Stress empfindet jeder individuell. Aber dennoch aus meiner Perspektive ein paar Gedanken dazu. Ich bin sehr viel mit öffentlichen in der Großstadt unterwegs, da ich in einer Grundschule arbeite und wir häufig im Klassenverband unterwegs sind. Das führt dazu, dass man sehr gelassen wird. Die Kinder sind natürlich instruiert, wie man sich im Bus oder in der Bahn verhält, nichtsdestotrotz hält sich nicht jeder dran. Bei 28 Kindern können wir nicht jedes sehen oder direkt ansprechen, wenn mal was nicht richtig läuft. Und es interessiert mich wenig was andere dazu sagen, wir geben unser Bestes und fertig. Ich denke die meisten Mitfahrer sehen das genauso. Also entspann dich, wenn deine Kinder sich nicht vorbildlich verhalten, oft sehen andere das gar nicht so streng. Und manchmal wirkt die Ansprache eines Außenstehenden vielleicht besser als die eigene (falls es wirklich so unerträglich für Mitfahrer ist). Unser größter Stressfaktor mit einer großen Gruppe ist immer der Umstieg (hoffentlich sind alle da) und das gehen durch die Stadt, weil da immer jemand gerade nicht hinschaut, hinhört und im schlimmsten Fall ein Kind im Gedränge abhanden kommt. Aber ich hab im Laufe der Jahre gemerkt, dass Entspannung, Gelassenheit und genaues Hinsehen die Mischung ist, die mir am besten bekommt. Und glücklicherweise ist bei mir noch immer alles gut gegangen. Das wünsche ich dir auch!

  2. Meine Erfahrung als Fachkraft ist allerdings, dass Menschen einer ganzen Kindergruppe beim Ausflug wohlgesonnener sind, als einzelnen Eltern. Leider.

    • Johanna Reply

      Das Gefühl hab ich auch. Und es ist auch was anderes ob es die eigenen Kinder sind.

  3. Ich kann ja nur aus meiner Perspektive schreiben, aber streitende Kinder sind garantiert nicht mein Stressfaktor. Und wenn doch, tun mir eher die begleitenden Erwachsenen leid. Das mit den fehlenden Sitzplätzen und Festhaltemöglichkeiten ist ätzend, besonders für Kinder. Und wenn der/die Busfahrerin etwas sportlich unterwegs ist.
    Grüße
    Ilka

    • Johanna Reply

      Danke dir, Ilka, das beruhigt mich etwas. Aber es gibt tatsächlich auch viele Menschen, die schon sehr ungehalten werden, wenn auch nur die Fußspitze eines Kleinkindes ihr Bein berührt, wenn sie sich gegenüber sitzen…

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